Alles über Accelerometer und Gyrometer
Beschleunigung messen und Dynamik auswerten
Nicht nur Smartphones sind auf Accelerometer (Beschleunigungssensoren) und Gyrometer (Drehratensensoren) angewiesen, sie sind auch integraler Bestandteil der Autoindustrie. Ob Pkw oder Crashtest-Dummy: Mit Hilfe mikroelektromechanischer Systeme (MEMS) können Bordcomputer rechtzeitig erkennen, dass ein Rad die Traktion verliert und stellen wichtige Rohdaten für die Auswertung zur Verfügung, um schwere Unfälle zu vermeiden. In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf diese Technologie.
Welche Typen von Beschleunigungssensoren gibt es?
Wann immer von Beschleunigung, also die Rate der Geschwindigkeitsveränderung eines Körpers oder Rotation die Rede ist, bewegt man sich im Bereich der Inertialsensoren: Systeme, die Masseträgheit (Inertia) bezogene Kräfte messen, die einen Körper aus seinem natürlichen Zustand der Trägheit ziehen, drücken, stoßen oder schieben.
Typische Anwendungen sind:
- Stoß- und Fallerkennung: In Airbags, Festplatten und anderen empfindlichen Geräten überwachen die Sensoren ihre Beschleunigungsparameter, um im Fall des Falles entsprechende Schutzmechanismen zu aktivieren.
- Handysensoren: Auf dem iPhone eine E-Mail schnell auf „nicht gelesen“ zurücksetzen? Einfach das Gerät schütteln. Gesten und Dynamik erkennt das Handy ebenfalls mit Beschleunigungssensoren.
- Navigation: Um die Bewegungsrichtung und die Ausrichtung von elektronischen Navigationstools zu bestimmen, kommen neben dem Kompass auch Drehratensensoren zum Einsatz. Außerdem überbrücken sie Situationen, in denen das GPS-Satellitensignal gestört ist (Tunnel, Parkhäuser, Häuserschluchten), und ermöglichen so eine durchgehende Routenführung.
- Spiele- und Spielekonsolen: In den Controllern von modernen Spielekonsolen transformen Sensoren einen einfachen Armschwung im heimischen Wohnzimmer in Echtzeit zu einer eleganten Vorhand im Wimbledon-Finale.
MEMS-Sensoren in der Industrie
In der Industrie kommen die MEMS-Sensoren ebenfalls in verschiedenen Situationen zum Einsatz, sie sind auch ein Bestandteil der Generation Maschinen, die im weitesten Sinne zu Industrie 4.0-Anwendungen gezählt werden. Bei hochwertigen Maschinen können sie zum Beispiel den Transportweg überwachen und melden, ob es zu Erschütterungen oder Vibrationen gekommen ist. Auch im laufenden Betrieb, wenn es um die Überwachung von Systemen oder Systemteilen wie Motoren oder Achsen geht. MEMS-Sensoren erkennen im Inneren von Maschinen zum Beispiel, ob empfindliche Bauteile richtig gelagert sind, und spüren anhand von Vibrationen eventuelle Fehler auf, bevor es zu teuren mechanischen Beschädigungen kommt.
Wie funktioniert ein Beschleunigungssensor?
In einem Accelerometer steckt für jede Achse, entlang derer die Beschleunigung gemessen werden soll, ein federgelagertes Gewicht. Dieses Gewicht drückt bei klassischen Beschleunigungsmessern auf ein piezoelektrisches Element. In den MEMS-Accelerometern werden diese durch eine kapazitativ messende Fläche ersetzt. In beiden Fällen verändert sich durch die Krafteinwirkung auf das Gewicht die Ausgangsspannung des Bauteils. An jedem Sensor liegt dabei eine Grundspannung an, die den unbelasteten Zustand charakterisiert. Durch die Differenz zwischen der aktuellen Spannung und der Basis kann dann die aktuell wirkende Beschleunigung bestimmt werden. Vorteile der miniaturisierten MEMS-Bauteile sind sehr hohe Messbereiche und schnelle Reaktion.
Welche Funktion haben Sensoren mit einer, zwei, drei und sechs Achsen?
Eine Achse
Beschleunigungsmesser mit einer Achse sind die einfachsten Sensoren und messen nur linear, also in eine Richtung.
Zwei Achsen
Für die Beschleunigungsmessung auf einer ebenen Fläche reichen zwei Achsen vollkommen aus. Sie erfassen beispielsweise einfache Gesten.
Drei Achsen
Beschleunigungsmesser mit drei Achsen erfassen zusätzlich Neigungen und Schräglagen.
Sechs Achsen
Beschleunigungsmesser mit sechs Achsen messen sowohl die Beschleunigung als auch die Rotation entlang der X-, Y- und Z-Achsen.
Gut zu wissen!
Was die Erdanziehung mit Beschleunigung zu tun hat
Wenn von Beschleunigung die Rede ist, assoziiert man damit in der Regel auch Dynamik, es geht schließlich um die Veränderung der Geschwindigkeit. Doch alles beginnt mit dem ruhenden Sensor. Auf der Erde unterliegt alles der Erdanziehungskraft. Wir sind von Natur aus darauf eingestellt, gegen die Erdanziehung zu arbeiten, die auf unseren Körper wirkt.
Diese Beschleunigung von 1g (oder 9,81 m/s2) wirkt permanent in Richtung des Erdmittelpunkts. Da sich jedoch aufgrund von Höhe (über NN) und Aufenthaltsort die Wirkung immer leicht von der idealen Richtung verschiebt, zeigt ein Beschleunigungsmesser auch in völliger Ruhe immer einen Ausschlag an. Die Beschleunigung von 1g verteilt sich dabei je nach Ausrichtung auf die einzelnen Achsen.
Ein Test mit der Digilent Digital Discovery Plattform
Die konstante Gravitation kann auch ohne Beschleunigung in eigenen Anwendungen genutzt werden. Als Beispiel dient hier die unten verlinkte Versuchsanordnung mithilfe der Entwicklungsplattform Digilent Digital Discovery. Sie ermöglicht einen Sensortest über eine Kombination aus Logikanalysator und Mustergenerator, damit kann man Sensoren auf ihre Funktionsfähigkeit testen. Ein dreiachsiger Sensor teilt dann mit, wie ein Gerät gerade ausgerichtet ist. Liegt es auf dem Kopf, steht es senkrecht?
Wie beantwortet ein Sensor diese Frage?
Die drei Achsen des Sensors teilen sich den Einfluss der Schwerkraft gleichmäßig auf. Die Grundlage ist also ein Koordinatensystem mit einer X-, Y- und Z-Achse. Richtet man nun eine Achse des Sensors genau auf eine Achse aus (also ideal in Richtung Erdmittelpunkt), dann würde dort ein Ausschlag von exakt 1g zu messen sein. Je nachdem, wie der Sensor also verbaut ist, kann man daraus ableiten, welche Seite des Geräts nach oben zeigt. Bereits in vollständiger Ruhe teilt der Beschleunigungssensor so relevante Informationen mit.
Hier geht es zum vollständigen Versuchsaufbau auf DesignSpark
Für den Aufbau zu Hause lassen sich vergleichbare Tests auch für die Arduino-Plattform durchführen. Mit Entwicklungskits, wie dem ADXL355, kann man auch dem eigenen System die Interpretation der Beschleunigung oder Orientierung beibringen. Dabei wird der Sensor mithilfe eines Erweiterungsboards mit der Platine verbunden – am besten montiert auf einen beweglichen Festkörper. Dessen Ausrichtung oder Beschleunigung kann man dann über die serielle Schnittstelle auslesen.
Wie unterscheidet sich ein Gyrosensor von einem Accelerometer?
Der Gyrometer oder auch Drehsensor misst nach dem gleichen Prinzip nicht die absolute Beschleunigung, sondern die Drehgeschwindigkeit eines Körpers um eine Achse, oder auch Winkelgeschwindigkeit. Seine Bezeichnung leitet sich vom Gyroskop oder Kreiselinstrument ab, dessen Bauprinzip mit mikroelektromechanischen Komponenten für die Messung genutzt wird. Auch im MEMS-Gyrosensor stecken winzige Gewichte, die die Corioliskraft in der Rotation auf eine kapazitative Fläche drückt. Die Intensität des Drucks bestimmt dann die ausgeübte Kraft, woraus sich die aktuell wirkende Geschwindigkeit um eine Achse bestimmen lässt. Die statische Erdanziehung, die auf die gesamte Masse wirkt, ist im Gegensatz zum Accelerometer nicht in den Daten enthalten – eine lineare Beschleunigung entlang einer Achse kann dafür mit dem Gyroskop nicht gemessen werden.
Die Winkelgeschwindigkeit gibt im Gegensatz zur absoluten Beschleunigung an, wie viel ein Gegenstand in einer Sekunde um die gemessene Achse zurücklegt. Die Maßeinheit ist Radiant/ Sekunde, also die Angabe im Bogenwinkel, sie kann jedoch auch in Bogengrad/ Sekunde umgerechnet werden.
Worauf muss ich bei der Auswahl eines Beschleunigungssensors achten?
Bei der Auswahl des richtigen Sensors kommt es auf die Charakteristik der Daten an, die festgehalten werden sollen.
- Welcher Wertebereich soll erfasst werden?
- Welche Genauigkeit muss die Messung aufweisen?
- Unter welchen Bedingungen muss der Sensor arbeiten?
Alle Inertialsensoren unterscheiden sich in den Parametern Genauigkeit und Wertebereich. Dabei gilt die Regel: Je genauer ein Sensor auflöst und misst, desto eingeschränkter ist der Wertebereich. Als dritte Dimension bestimmt der Einsatzbereich, welche Materialien, Abmessungen und Gehäuse infrage kommen. Je höher die Anforderungen an Unempfindlichkeit gegenüber Temperatur, Medium (Luft/Wasser/toxische Umgebungen) und Lagerung sind, desto aufwendiger wird es, die entsprechende Sensorik darin genau messen zu lassen.
Der Wertebereich oder die Belastbarkeit wird in g, also in Vielfachen der Erdanziehungskraft angegeben und kann ein breites Spektrum von 10g bis 2000g umfassen. Die Genauigkeit wird durch die Empfindlichkeit der Ausgangs-Spannung (oder -Ladung) festgelegt und beschreibt die Präzision in Bezug auf die Werte. Ein besonders empfindlicher Sensor ist jedoch auch anfälliger gegenüber Störeinflüssen bzw. ist die Abschirmung aufwendiger. Die Schaltfrequenz (auch Samplerate) des Sensors gibt zuletzt die zeitliche Auflösung der erfassten Daten an, je höher sie ist, desto mehr Werte können pro Zeiteinheit erfasst werden. Am unteren Ende der Skala wird definiert, wie groß die minimale Impulslänge sein muss, um von dem Sensor erfasst zu werden.
Wie nutzt man diese MEMS-Sensoren?
Besonders für MEMS-Sensoren gilt, dass es eine Menge günstiger Produkte gibt, bei denen die Sensoren auf einer Erweiterungs- oder Mikrocontroller-Platine enthalten sind. Häufig werden sie auch kombiniert angeboten, sodass Gyroskop und Accelerometer in einem Kombiprodukt enthalten sind und so größtmögliche Flexibilität bei der Nutzung von Daten bieten.
Über die einzelnen Sensoren hinaus ist es auch möglich, sie als Erweiterungskits für populäre Entwicklungsplattformen wie Arduino und Raspberry Pi zu erwerben.
Interpretation von zusammengesetzten Daten bei Accelerometern und Gyrosensoren
Je nach Anwendungszweck unterscheiden sich Verwendung und Interpretation der Daten. In Ruhe kann der Accelerometer durch die Wirkung der Erdanziehungskraft zur Bestimmung der Lage genutzt werden. In Bewegung dient er der Erkennung von Fall, Querbeschleunigung und Geschwindigkeit. Gyrometer können die Lage um eine Achse – ohne den Einfluss der Schwerkraft – messen und helfen so, die Lageveränderungen gegenüber dem Normalzustand zu verstehen. Bei komplexen Aufgaben ist es jedoch häufig notwendig, Werte aus verschiedenen Quellen gemeinsam zu betrachten.
Ein komplexes Beispiel ist die Verwendung von MEMS-Sensoren zur Stabilisierung von Modell-Hubschraubern. Das Fluggerät unterliegt neben seiner eigenen Dynamik vielfältigen Einflüssen aus Wind, anderen Luftströmungen und den Verwirbelungen durch die eigenen Rotoren. Um ein vollständiges Bild von der Fluglage zu haben, ist es daher notwendig die Daten von verschiedenen Sensoren miteinander zu kombinieren und dadurch das vollständige Bild über die Dynamik zu erhalten. Sowohl die Geschwindigkeit und die aktuelle Beschleunigung spielen dabei eine Rolle wie auch die Lage um die Längs-, Quer- und Raumachse, da ein Hubschrauber um jede Achse genau gesteuert werden kann. Die Sensoren erlauben es nun, Abweichungen schnell zu erkennen und automatisch eine stabile horizontale Ausrichtung umzusetzen.
Auch in modernen Flugzeugen finden diese sensorgestützten Korrekturen der Ruder in der sogenannten Fly-by-wire-Technologie statt. Die Befehle der Piloten werden dabei nicht mechanisch über Seilzüge oder Hydraulik direkt an die mechanischen Ruder weitergegeben, sondern von einem Computer mithilfe von Sensordaten ausgeglichen.